Für das Anna-Seiler-Haus als ersten Neubau des 2010 initiierten Masterplanes für das Inselspital wurde 2013 ein internationaler Generalplanerwettbewerb ausgelobt, den ASTOC Architects and Planners, GWJ Architektur und IAAG Architekten als Planergemeinschaft gewannen. Die Aufgabenstellung war umfassend: Identität stiftende Architektur für das Bild, das Herz, des gesamten Inselspitals. Klarheit, Übersichtlichkeit und Orientierung für alle Funktionsbereiche. Flexibilität für eine anpassbare Clusterbildung. Kürzeste Wege. Trennung der Hauptströme. Natürliche Belichtung der Kernfunktionsräume. Konsolidierung der Kernressourcen.
Entwurfsidee: Der Anforderungskatalog für die Planung des Anna-Seiler-Hauses hatte eine sehr hohe Komplexität. Zu den üblichen funktionalen Anforderungen eines höchst technisierten Spitalbetriebs - und einer Architektur als unterstützendem Faktor im Heilungsprozess - galt es, dem Gebäude eine hohe Flexibilität für eine Umverteilung von Funktionsbereichen zu ermöglichen, medizinische Kernressourcen interdisziplinär nutzbar zu machen, 90 % der Kernfunktionsräume mit natürlichem Tageslicht zu versorgen, zukunftsorientierte Logistiksysteme zu integrieren und darüber hinaus klare Beziehungen zur benachbarten Bebauung zu entwickeln und Bild und Adresse des Inselspitals entscheidend zu prägen.
Die Ideenfindung begann mit einer detaillierten Analyse der Funktionsabläufe und Bewegungsmuster von Patienten, medizinischem Personal und Besuchenden. Die Erkenntnisse zu räumlichen und zeitlichen Abhängigkeiten führten zur Platzierung des Raumprogramms in der Geometrie eines Würfels, bei dem an zwei gegenüberliegenden Kanten jeweils ein Volumen subtrahiert wird. Daraus ergab sich ein sechsgeschossiger Sockelbereich mit zwei tagesbelichteten Atrien, zentralem Empfang und Gastronomie in der Eingangsebene und Ambulatorien darüber sowie zwei miteinander verschränkten, zehngeschossigen Türmen mit Verwaltung und den Pflegebereichen. Organisiert ist das Anna-Seiler-Haus als «Stadt in der Stadt», deren Grad an Privatsphäre mit den Geschossen zunimmt: Meine Stadt, mein Quartier, meine Straße, mein Zuhause.
Projektierung: Das 82,4 x 69,6 x 63,3 m große Anna-Seiler-Haus wurde als Massivbetongebäude mit vorgehängter Fassade geplant. Die Vorgabe größtmöglicher Flexibilität wurde in der Kombination aus Sockel und Türmen umgesetzt, mit 16 oberirdischen und 2 unterirdischen Geschossen. Die höheren Räume im Sockel und die umlaufend etwa 18 m tiefe Raumschicht bringen dort eine hohe Nutzungsflexibilität, um schnell auf Veränderungen im Klinikwesen eingehen und insbesondere die Bereiche für Untersuchung und Behandlung spezifisch anpassen zu können. In den Türmen wurden die Büros und die Pflegebereiche (532 stationäre Betten) angeordnet, Die administrative Arbeitsflächen wurden flexibel im Flex-Desk / Open-Office Gedanken gestaltet.
Besondere Aufmerksamkeit widmete die Planung den Bedürfnissen aller Nutzer nach Orientierung, Identifikation und menschlichem Maßstab. Natürliches Licht in möglichst vielen Bereichen - durch von oben belichtete Atrien und «im Licht» endende Verortung im 82.000 qm großen Gebäude. Materialwechsel am Übergang zwischen verschiedenen Funktionsbereichen ergänzen die Orientierungshilfe ebenso wie eine dezent gehaltene Signaletik.
Um einen «lebendigen» Eindruck der Fassade zu erzielen, wurden die Elemente mit einem Oberflächenprofil aus Wellen unterschiedlicher Radien geplant. Im Ergebnis wirkt die auf vorgefertigten Modulen fabrizierte Fassade je nach Lichteinfall und Bewegung der Betrachter atmosphärisch abwechslungsreich.
Realisierung: Der Bau des Anna-Seiler-Hauses erfolgte im Vollbetrieb des Inselspitals in unmittelbarer Nachbarschaft hochsensibler Spitalbereiche. Die von der Baustelle ausgehenden Emissionen mussten so gering wie möglich gehalten werden; benachbarte Gebäude waren durch umfangreiche Ab- und Unterfangungen zu sichern. Zudem gab es durch die enge Bebauung des Inselspitals und die jederzeit zu gewährleistenden Rettungswege sehr eingeschränkt Platz für die Baustelleneinrichtung und die Materiallagerung, so dass die Baustellenlogistik auf just-in-time-Lieferung ausgerichtet wurde. Die klinische Inbetriebnahme erfolgte am 18.09.2023.
Besondere Erwähnung verdient, dass das Anna-Seiler-Haus innerhalb des Zeitplans und auch des Budgets realisiert werden konnte – und dass trotz der nicht vorhersehbaren, großen Herausforderungen der Covid-19-Pandemie und Ukraine-Krise mitten in der heißen Phase auf der Baustelle. Zugangs- und Arbeitsbeschränkungen auf der Baustelle, etliche Lieferengpässe und eine höhere Inflation konnten durch situative Anpassungen in der Projektsteuerung kompensiert werden, ohne dass sich das auf den Zeitpunkt der Fertigstellung auswirkte.