Das Bestandsgebäude wies eine gute Bausubstanz auf, war aufgrund vielzähliger Um- und Weiterbauten jedoch sehr heterogen. Um eine zeichenhafte Architektur zu entwickeln, die gleichzeitig Angemessenheit gegenüber dem Bestand beweist, bedienten sich die Architekt:innen am Prinzip Copy and Paste. Das Hölzel-Haus wird um einen Anbau erweitert und dabei selbst zum Gestaltungsthema: Der Bestand von 1905 wird kopiert, verschoben und anschließend als Kopie wieder an geforderter Stelle eingesetzt. Der dabei entstehende Anbau folgt ähnlich einem Schatten dem bestehenden Gebäude und wird zum DOPPELGÄNGER. Die Gestalt und Position des DOPPELGÄNGERs werden nicht zuletzt durch seine Materialität, als Überlagerungen sichtbar. Die Kopie folgt dem Original dabei bis ins Detail einfach so, wie das Haus 2015 vorgefunden wurde. Nur in einem Punkt unterscheiden sich Alt und Neu: Der Anbau zeigt sich völlig entfärbt. Dabei fügt sich das Stiftungshaus harmonisch in das umliegende Villenviertel ein und gibt doch klar zu verstehen, dass hier etwas Neues entstanden ist.
Auch im Innenraum wird das Thema der Entfärbung wieder aufgegriffen. So wurde bei den Materialien wie beispielsweise den Bodenbelägen, Wandfarben und den eigens für das Haus entwickelten Wandtapeten mit verschiedenen Farbchangierungen gearbeitet. Den Besucher:innen begegnen auf den Wänden im Anbau historische schwarz-weiß Fotografien von Hölzel in seinem Stuttgarter Atelier sowie Hölzel und seine Schüler (beide Fotos um 1914) wohingegen im Bestandstreppenraum übergroße und bunte tanzende Figuren bis ins Dachgeschoss begleiten. Grundlage für die abstrahierte grafische Arbeit von THE BAUKUNST DYNAMITES war die farbige Zeichnung Hölzels „Komposition mit Figuren Tinte und Kreiden auf Papier, 1920“.
Belebt wird das vielfältige Raumangebot auf ca. 600m² durch ein multifunktionales Gesamtkonzept u.a. bestehend aus einer Kunstschule, Ausstellungsebene, Archiv und Atelierwohnung für Stipendiat:innen. Neben den baulich-energetischen Verbesserungen im Bestand und einer konsequenten Nachhaltigkeitsstrategie nutzt die Erweiterung das baurechtliche Potential des Grundstücks voll aus. Das Projekt DOPPELGÄNGER reloaded legt großen Wert auf ökologische, wirtschaftliche und soziale Resilienz. So wurde das Nutzungs- und Betriebskonzept der gemeinnützigen Stiftung im Planungsprozess früh mitgedacht und der Entwurf mit hohem wirtschaftlichem Anspruch umgesetzt. Dabei konnten Budget und Zeitplan der Stiftung trotz widriger Umstände wie der covid19-Pandemie, zwischenzeitlich explodierender Stahl- und Holzpreise sowie Lieferengpässen aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, unter enormen Einsatz des gesamten Teams gehalten werden.
Nicht zuletzt, um Ressourcen und Energie zu sparen, wurden im Entwurf und der Umsetzung auf den Erhalt und möglichst minimale Eingriffe in die bestehende Bausubstanz geachtet. So stellt sich der Anbau in Holzrahmenbauweise wie eine Schale vor den Bestand aus ausgemauertem Fachwerk und erzeugt einen Zwischenraum mit ungewöhnlichen Perspektiven. Dabei tritt er dem Bestandsgebäude angemessen und mit Respekt entgegen. Die historische Außenhülle wird zur Innenwand und schafft neben der besonderen Ästhetik eine zusätzliche Klimaschicht. Die gebäudetechnische Ausstattung wurde geringgehalten, um schützenswerte Bausubstanz erhalten zu können, ohne jedoch am Komfort zu sparen.
Die Verwendung von nachhaltigen Baumaterialien zieht sich durch das gesamte Projekt. Bestandsfenster wurden restauriert und mit gleichen Materialien für den Anbau reproduziert. Gut erhaltene Oberflächen wurden aufgearbeitet und durch neue Materialien ergänzt. Die Dachziegel wurden zu 60 % recycelt und lassen auf dem bestehenden Dach eine bunte Mischung aus alten und neuen Ziegeln in verschiedenen Rottönen entstehen. Als entfärbtes Pendant wurden die Biberschwanz-Dachziegel des Anbaus von einem Hersteller aus Österreich eigens aus Beton in vier Grautönen gefertigt. Kupferregenrohre im Bestand wurden zu Zinkregenrohren im Anbau. Der alte gelbe Putz wurde nach Möglichkeit beibehalten und aufgearbeitet und im Anbau in identischen Putzstrukturen, jedoch in hellgrau, repliziert. Die entfärbten Materialien des DOPPELGÄNGERs sind naturbelassen und wurden so ausgewählt, dass sie im Laufe des Alterungsprozesses an Patina gewinnen. Beim Bauprozess wurde darauf geachtet, den Eingriff in die Umwelt minimal zu halten, auch im Außenraum möglichst viel zu erhalten, wenig neue Flächen zu versiegeln, neue Bäume zu pflanzen und das Grundstück nach außen zu öffnen.
Mit der nachhaltigen Sanierung und Erweiterung wurde der historische Bestand gesichert und für öffentliche Nutzungen wieder zugänglich gemacht. Durch den neuen Erdgeschosszugang und Einbau eines Aufzugs wurden die Barrierefreiheit im Gebäude hergestellt und somit ein wichtiger Baustein der sozialen Teilhabe gelegt. Die neue Nutzungsvielfalt mit Wohnen, Arbeiten und Kultur ermöglicht eine intelligente und flexible Nutzung des Hölzel-Hauses, das so auch auf zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen vorbereitet ist. Damit ist der Adolf Hölzel Stiftung gemeinsam mit THE BAUKUNST DYNAMITES eine komplexe Transformation gelungen, welche dem Bestand angemessen gegenübertritt und zugleich eine neue architektonische Landmarke schafft.
Ergebnis ist eine Gegenüberstellung von Vergangenheit und Zukunft, als Zeichen für das Werk des Künstlers Adolf Hölzel und das Selbstverständnis der Stiftung. Es ist ein inspirierendes Umfeld für künstlerisches Arbeiten, für Vernissagen, Empfänge, Lernen und Wohnen entstanden. Das Projekt DOPPELGÄNGER reloaded zeigt damit exemplarisch, dass in der Auseinandersetzung mit dem Um- und Weiterbauen von Bestand neben der Frage nach Angemessenheit sowie der Bewahrung von Baukultur, ebenso großes Potential für die Umsetzung neuer Konzepte und Lebensentwürfe steckt. Durch Impulse aus historisch gewachsenem Kontext, dem Wissen verschiedener Akteure und zeitgemäßer Architektur kann so gebaute Diversität entstehen - spezifische Orte mit spannender Geschichte und vielversprechender Zukunft.